Hat sich Estateguru in Deutschland die Finger verbrannt?

Stefan 415 Aufrufe
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Estateguru, die P2P Plattform für besicherte Immobilienkredite hat sich den Markteintritt in Deutschland wohl anders vorgestellt. Immer mehr Nutzer beklagen sich über verspätete und ausgefallene Kredite. Was ist passiert? Wir nehmen einen Augenschein in diesem Artikel.

Markteintritt Deutschland

Estateguru ist seit November 2020 offiziell auch im Kreditgeschäft auf dem deutschen Markt tätig. Das Fintech firmiert unter dem Namen «Estateguru Germany GmbH» und hat seine Büros am Kurfürstendamm in Berlin aufgeschlagen. Der Start in Deutschland wurde damals trotz Corona Pandmie anständig gefeiert. So gab es für die Presse-Leute unter anderem eine Video-Konferenz aus der estnischen Botschaft in Berlin welche live übertragen wurde. Unter anderem wurde der Lauch mit einer Ansprache des estnischen Botschafters Alar Streimann gefeiert.

Screenshot Youtube. Copyright Estateguru

Also Country Head für Deutschland wurde damals Nicola Picone vorgestellt der ebenfalls eine Ansprache halten durfte. Es folgten Vorträge von Estateguru CEO und Mitgründer Marek Pärtel sowie vom Executive President von Varengold, der Partnerbank des Fintechs in Deutschland.

Neuer Country Head ab März 2022

Im März 2022 folgte Björn Kombächer auf Nicola Picone als Country Head für Deutschland. Dem vernehmen nach soll im Office in Berlin nun ein anderer Wind wehen. So gab Kombächer im November in einem Interview mit Northern Finance bekannt, dass er beinahe das gesamte Team ausgetauscht habe. Kombächer versuchte auch vermehrt institutionelle Anleger in den Fokus zu nehmen und als Investor auf Estateguru zu verwenden.

Krediteportfolio im Schiefstand

Bereits seit Monaten häufen sich Stimmen von Nutzern welche eine steigende Zahl an ausgefallener und verzögerter Kredite bemängeln. Doch wie sind die aktuellen Zahlen wirklich? Estateguru veröffentlicht regelmässig Zahlen zum Stand seines Kreditportfolios. Per 11. 02. 2023 hat Estateguru ein ausstehendes Kredite-Portfolio von gut 292 Millionen Euro. Grösster Markt ist dabei Deutschland. Rund 29% aller offenen Kredite wurden in Deutschland vergeben. Auf Platz 2 liegt Estland mit rund 25% und Platz 3 mit Litauen mit rund 16% vom Kreditportfolio.

Doch wie sieht es mit den Rückzahlungen aus? Über sämtliche Länder in denen Estateguru tätig ist, sind mittlerweile nur noch gut 59% im Zeitplan. Gut 20% ist im Verzug, mehr als 17% sind ausgefallen und befinden sich in Einholung:

Copyright Estateguru: Zahlen zum Krediteportfolio per 11.01.2023

Bedenklich sehen die Zahlen in Deutschland aus. So sind in diesem Markt nicht mal mehr 20% der Kredite im Zeitplan. Vereinbarte Raten werden nicht bezahlt oder Estateguru verlängert die Kredite. Per 01.11.2023 sind sage und schreibe mehr als 80% der Kredite verstpätet oder bereits im Rückholungsprozess:

Copyright Estateguru: Krediteportfolio in Deutschland per 11.01.2023

Estateguru versucht Investoren zu beruhigen

Derweil versucht Estateguru die Investoren zu beruhigen und richtet sich unter anderem per E-Mail an die aufgeschreckten Investoren:

Screenshot Info-Mail Investoren von Estateguru

Zudem verschickt Estateguru ganze Listen mit dem Stand der Probleme bei unterschiedlichen Kreditnehmern:

Info-Mail von Estateguru (Unternehmensnamen unkenntlich gemacht)

Intern scheint man bei Estateguru in den Task-Force Modus gewechselt zu haben und ist sich der kritischen Situation bewusst.

Deutlich bessere Situation in anderen Märkten

Deutlich besser unterwegs ist Estateguru in Estland und Litauen, den zweit und drittgrössten Märkten für das 2014 gegründete Fintech Unternehmen. In Estland sind derzeit über 88% aller vergebenen Kredite im Zeitplan. In Litauen sind es über 76%. Das Problem scheint also primär in Deutschland akut zu sein.

Was sind die Gründe für die Probleme in Deutschland?

Liest man sich die Begründungen der Kreditnehmer welche im Verzug sind durch, sind primär folgende Antworten zu finden: Liquiditätsprobleme durch gestiegene Baukosten, Verzögerungen im Verkaufsprozess aufgrund Veränderungen im Immobilienmarkt, Korrekturen der Verkaufspreise aufgrund neuem Zinsniveau. Aber auch Verzögerungen im Verkaufsprozess, neue technische Anforderungen während dem Bau welche zu massiven Mehrkosten und damit Zahlungsschwierigkeiten führten. Teilweise sind die Kreditnehmen für Estateguru aber schlicht nicht mehr erreichbar.
Estateguru scheint derzeit nur sporadisch zur informieren und liefert nur teilweise befriedigende Antworten. Klar ist, dass Estateguru nun die Zügel anzieht und gerade in diesen Tagen dutzende Kredite aufgekündigt und die Verwertung eingeleitet hat. Bislang wurde eher die Strategie abwarten, Nachfristen gewähren und Möglichkeiten gewähren gefahren. Damit ist jetzt häufig Schluss.
Nachteilig könnte sich hier erweisen, dass Estateguru in Deutschland teilweise zu hohe Bewertungen für die Objekte festgesetzt hat. Laut Estateguru wurde zu Beginn der Geschäftstätigkeit in Deutschland von Gutachtern zu optimistisch kalkuliert. Diesen Umstand habe man aber laut Estateguru korrigiert und arbeite nun mit zuverlässigem Personal zusammen.
Estateguru gibt sich weiterhin verhalten mit der Kommunikation über allfällige eigene Fehler. Im letzten Webinar sprach Andres Luts – Chief Risk Officer von Estateguru – von schwierigen Marktbedingungen, schnellem Wachstum und einen überöptimistischen Markteintritt. Zudem habe man den Fehler gemacht, mit einem Partner relativ viele Darlehen abgeschlossen zu haben, was sich nun als Klumpenrisiko erweise. Ohne das Luts hier darauf weiter eingeht. Es ist somit davon auszugehen, dass es mit diesem erwähnten Partner nun zu Problemen kommt.

Webinar mit Andres Luts – Chief Risk Officer von Estateguru

Fazit

Was unter dem Strich genau in Deutschland los ist bei Estateguru, ist schwierig zu sagen. Klar ist, dass sich das Marktumfeld mit der Zinswende und dem veränderten Immobilien-Markt verändert hat. Dies alleine kann jedoch nicht die Begründung sein, da Estateguru in anderen Ländern vergleichsweise unter Berücksichtigung des aktuellen Umfeldes weiterhin gut unterwegs ist. Aufgrund der aktuellen Zahlen steht jedoch fest, dass sich das Fintech gehörig die Finger in Deutschland verbrannt hat. Zwar gesteht Estateguru selber einige Fehler ein, versucht sich aber verständlicherweise auch in Schadensbegrenzung.
Lichtblick ist sicherlich die Tatsache, dass es historisch gesehen bislang über das ganze Portfolio seit Geschäftsbeginn von Estateguru, gerade mal zu einem Kapitalverlust von 0.01% gekommen ist. Das Rückholungsmanagement von Estateguru scheint also grundsätzlich effektiv zu sein. Zudem sind die Kredite bei Estateguru – im Gegensatz zu vielen anderen P2P Kredite Plattformen – gesichert. Doch wird sich zeigen, wie Estateguru die schiere Menge an Krediten mit Schiefstand überhaupt angehen kann. Nun muss die Plattform zeigen, dass Sie professionell Arbeitet um auch künftig auf die Gunst der Investoren zählen zu können.

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